Flucht allgegenwärtig.
Ist Menschsein flüchten?
Lohnt sich das Gärtnern, das Pflanzen, das Pflegen?
Kann ich einen Gartenblog schreiben – Und woanders ist Krieg?
Das Entsetzen so nah wie lange nicht. Krieg in der Ukraine, ein Land zwischen uns und der Front. Panzer auf jeder Titelseite. Kriegsrhetorik von grünen Politiker*innen, Feindbilder, schwarz-weiße Erklärungsmodelle. Fassungslosigkeit und Unverständnis.
Millionen geflüchtet.
Millionen die bleiben, weil sie Haus, Hof, Tiere, Großeltern und Garten nicht verlassen können. Die nicht weg dürfen, weil sie ihr Leben geben sollen, mit der Waffe in der Hand.
Anderswo das Wetter. Das der Gärtnerin nah ist und lebendig. Hungersnot in Somalia. Seit zwei Jahren hat es nicht geregnet. Seit. Zwei. Jahren.
Warum regnet es nicht? Wie soll das weitergehen?
Zelte aus dünnen Tüchern im Sand. Kein Schatten weit und breit. Keine Pflanze. Menschen am Verhungern. Millionen geflüchtet. Geflüchtet von ihrem Land, ihrem Garten, ihren Tieren, weil die nicht sein können ohne Regen.
Und ich denke über Blumenwiesen nach. Schreibe. Einen Gartenblog. Der Teil davon ist, den Blick zu senken. Ohnmächtig vor dem Grauen der Welt. Nicht zu weit zu schauen, nicht weiter als bis zum eigenen Gartenzaun. Der Strom kostet im Internet, das inzwischen mehr Energie verbraucht, als die meisten Länder der Erde. Der mich Zeit kostet, die ich nicht in politische Arbeit, nicht in Flüchtlingshilfe, nicht in politische Recherche investiere. Ist das ethisch vertretbar? Was wären die Alternativen?
Ich weiß es nicht.
Ich weiß, dass ich Nachrichten nur noch alle paar Tage hören kann, wenn ich nachts noch schlafen will. Ich weiß, dass ich es nicht aushalte, immerzu über den Gartenzaun hinaus zu schauen. Wie machen andere das?
Ich weiß, dass ich einen Beitrag leisten, aber das große Ganze gerade nicht ändern kann. Dass ich Geld nach Somalia spenden, dass ich für Frieden beten kann, ohne an Religionen zu glauben. Dass ich meinen Blog energiesparend gestalten kann. Dass Gärtner*innen – alle zusammen – einen wichtigen Beitrag leisten können zum Umwelt-, Natur- und Klimaschutz. Und ich weiß, dass es eigentlich nicht genug ist. Dass es richtiger wäre, die Zeit in politische Arbeit zu stecken. Und dass es trotzdem auch menschlich ist, die Hoffnung nicht aufzugeben. Und im Angesicht des Grauens eine Blumenwiese zu säen.
Was können wir tun?
Gärtnern für den Frieden?
Es wird die Welt nicht über Nacht verändern, das eigene kleine Gartenglück. Aber „Every tool is a weapon, if you hold it right.“, sang Ani diFranco. Der Stift, mit dem du zeichnest. Die Tasten auf denen ich schreibe. Die Stimme, mit der du singst. Der Spaten, mit dem du dein Beet bestellst. Wenn es stimmt, können wir überall etwas ändern. Was können wir im Garten tun?
Friedfertig werden. Zu uns selbst finden. Nicht jede*r Gärtner*in ist ein besserer Mensch. Einige SS-Offiziere waren Gärtner. Aber jeder friedliche Mensch, jede, die ganz bei sich ist, wird auf Dauer einen Unterschied machen. Und das liegt in unseren Händen, wenn wir sie in die Erde stecken. Uns dann auch mit der Erde zu verbinden und mit allem, was sie trägt. Uns in Demut zu üben, vor allem was lebt. Und in Liebe.
Auftanken. Mir hilft die Gartenarbeit, zur Ruhe zu kommen. Keine Albträume zu haben. Durchzuatmen. Dann kann ich auch wieder Nachrichten lesen. Und überlegen, was ich tun kann. Wer sich politisch engagiert, braucht Kraft und Erholungspausen. Der Garten kann ein Ort dafür sein.
Die Hoffnung nähren. „Alles wird gut“ – das würden wir gern glauben. „Es ist noch nicht alles verloren“ – das müssen wir glauben, damit das Leben weitergeht. Und jedes Beet, jeder Strauch, jede Blüte kann uns mit dieser Hoffnung verbinden.
Mit den Nachbar*innen sprechen. Auskommen. Sich anfreunden. Verschiedene Weltbilder aushalten. Ex-Jugoslawien, Ukraine, Afghanistan. So viele Kriege toben zwischen Nachbarn. Lasst uns im Kleinen anfangen mit der Friedensarbeit. Fast jeder Garten hat Nachbargärten. Nicht immer sind Nachbarn Freund*innen. Aber der Garten kann eine Brücke sein. Aus der Antidiskriminierungsarbeit wissen wir, dass kaum etwas effektiver ist gegen Hass, als die persönliche Begegnung. Schaffen wir das?
Community-Building. Gärten können Räume der Begegnung sein. Orte für Freundschaften und Bündnisse, für Politgruppentreffen, Pazifismus und Zukunftswerkstätten. Interkulturelle Nachbarschaftsgärten schaffen Raum für Kommunikation, für Ankommen und Kennenlernen. Kleingartenanlagen mit verschiedenen Menschen könnten das eigentlich auch.
Pflanzen statt preppen. Nicht nur ich habe Angst. Ich höre sie in den Augen vieler Freund*innen. Die (Ur-)Großeltern sind aus Ostpreußen geflohen oder liegen in Frankreich an einer unbekannten Front. Manche wurden im KZ ermordet oder haben im Exil überlebt. Verwandte sind in Syrien geblieben oder in Afghanistan. Viele von uns sind im Frieden geboren. Aber die Angst sitzt uns im Blut und macht uns hilflos. Wir horten Lebensmittel, die uns ohne Strom nichts nützen würden, denken nach, welche Papiere wir mitnehmen und wohin wir flüchten würden. Und das alles ist so. Aber ein guter Ratgeber ist die Angst meistens nicht. Und wenn ein Apfelbaum hilft zu atmen, eine Regentonne macht, dass wir uns unabhängiger fühlen, ein bisschen Erde unter den Nägeln uns Sicherheit gibt – dann ist das legitim und gut.
Umwelt und Klima schützen. Dafür gibt es im Garten viele Möglichkeiten. Humus ist ein machtvoller CO2-Speicher. Jedes selbst geerntete Radieschen wird (hoffentlich) nicht so weit mit dem Auto transportiert. Davon wird es nicht morgen in Somalia regnen. Aber der Anteil der Gärten an der Erdoberfläche ist groß. Wird hoffentlich größer. Und wenn wir alle zusammen klimabewusst gärtnern, dann kann sich etwas verändern.
Ist das gut und richtig? Sicherlich.
Genug? Sicher nicht.
Aber vieles ist nötig. Möglich. Auch das.