Kleingarten ja oder nein? – oder auch: Hilfe, wollen wir diesen Garten?

Manche Menschen haben einen Garten. Manche haben keinen. Und die, die keinen haben, wissen meistens recht genau, ob sie gern einen hätten. Zumindest theoretisch. Aber wenn dann die Chance auf einen Garten an die Haustür klopft, dann ist die Entscheidung manchmal doch nicht so leicht wie gedacht.

Wollt ihr diesen Garten?

Auf einem Gartenblog kann die Antwort auf diese Frage eigentlich nur sehr kurz sein:
JAAA! Natürlich! Unbedingt! Aber als uns vor etwa anderthalb Jahren unverhofft ein Garten angeboten wurde, musste ich erst mal darüber schlafen, ob wir den wirklich annehmen. Und das, obwohl ein Garten in unserer Stadt eigentlich einem Sechser im Lotto gleicht.

Warum? Das Gelände war von Brombeeren, Farnen und halbwüchsigen Ahornbäumen undurchdringlich bewachsen und, soweit es durch das Dickicht sichtbar wurde, von Sperrmüll in allen Größen und Formen übersäht. Zerbrochene Glasscheiben, Styroporplatten, alte Spielsachen und Blumentöpfe, PVC- und Gartenzaunrollen, ein kaputter Swimmingpool, ein im Boden festgewachsener Eisenofen. Dutzende Plastikfässer, Plastikplanen, Wurzelsperren, Gartenmöbel usw.
In der Mitte des Grundstücks stand eine zerfallene Hütte, aus deren Tür ein ziemlicher Gestank drang. Die Wände waren mit Styropor gedämmt und mit Teerpappe beklebt, das Dach von einer riesigen umgestürzten Robine zerdrückt, der Innenraum mit Resten von Möbeln, Sitzkissen, Kleidung und Tierknochen gefüllt. Äh…. Also wollen wir diesen Garten?

Auf verschiedenen Wegen Entscheidungen treffen

Für meine Partnerin war das eine klare Sache. Sie spazierte, soweit das möglich war, zweimal über das Grundstück und sagte dann: „Klar, das machen wir!“. Klares Bauchgefühl, klare schnelle Entscheidung. Solche Leute gibt es. Ich gehöre nicht dazu. Ich gehöre zu denen, die zwar ein Bauchgefühl haben, aber trotzdem die ganze Sache noch mal gut durchdenken und von allen Seiten betrachten wollen. Die Pro- und Contra-Listen schreiben und darüber schlafen und am Ende dann vielleicht doch dem ersten Gefühl folgen. Aber mit der Gewissheit, gut darüber nachgedacht zu haben. Zugegeben – ein bisschen umständlich. Aber was soll man machen?

Für alle, denen es auch so geht: Hier kommen die Entscheidungshilfen. Falls euch heute oder morgen ein vielleicht ein bisschen fragwürdiger Kleingarten angeboten wird. Oder falls ihr noch ganz grundsätzlich über die Frage „Garten – Ja oder Nein“ nachdenkt.

Pro Kleingarten

Ein Kleingarten kann – wenn es gut läuft – eine Menge Lebensqualität bedeuten. Freizeit- und Rückzugsort, Zeit an der frischen Luft, eigenes Obst und Gemüse, Naturbeobachtungen, Bauprojekte und Raum für kreatives Gestalten. Hier können gemeinsame Erlebnisse, Partys oder Kindergeburtstage geschehen. Singen am Lagerfeuer, Planschen im Mini-Pool, Dösen in der Hängematte, vieles ist möglich. Die sozialen Kontakte in der Kleingartenanlage können ein weiterer Pluspunkt sein.

Contra Kleingarten

Kleingärten sind eben meistens Teil einer Kleingartenanlage. Das kann auch nerven. Anstrengende Nachbarn, Regeln über den Gemüse- oder Löwenzahnanteil auf der Parzelle, unterschiedliche Ansichten über Ruhe, Musik und Grillvergnügen können für Ärger sorgen. Dann kann es sein, dass Singen am Lagerfeuer, Partys und Kindergeburtstage eben doch nicht so entspannt möglich sind. Und die Begeisterung fürs Gärtnern kann auch in Stress ausarten. Zum Beispiel wenn es lange nicht regnet und ihr vertrocknende Pflanzen nicht ertragt. Oder wenn euch die Zeitspanne zwischen einer Idee und ihrer Umsetzung einfach zu lang wird. Auch Gruppenprozesse, wenn ihr euch den Garten mit Freund*innen teilt, können mehr Energie kosten als gedacht.

Soweit so allgemein. Aber wie treffe ich die richtige Entscheidung für mich? Hier kommen ein paar Fragen und Themen, die sich für mich zu bedenken gelohnt haben. Und die vielleicht auch für euch dazu beitragen, das Bauchgefühl klarer zu spüren.

Entscheidungshilfe Kleingarten

Wünsche und Visionen. Was versprecht ihr euch überhaupt von einem Garten? Was wollt ihr dort tun, wann wollt ihr dort Zeit verbringen? Mit wem und was wollt ihr dort erleben, wie wollt ihr euch fühlen? Passt das mit den Gegebenheiten vor Ort zusammen? (In unserem Fall: Im Grünen sitzen, Ja! Viel Gemüse ernten, das hätte eher nicht so gut gepasst.)

Der Gartenfaktor. Das ist vielleicht das Wichtigste: Gärtnert ihr gern? Habt ihr schon mal Balkonkästen, Zimmerpflanzen oder den Garten einer Freundin betreut und könnt irgendwie sagen: Ja, Pflanzen, Gießen, Ernten, Bauen, das mag ich gern? Oder trifft das zumindest auf einen Teil eurer Gartengruppe zu? Seid ihr gern an der frischen Luft und habt ihr eine gewisse Toleranz gegen Dreck und Insekten?

Die Gruppe. Wer wäre dabei? Habt ihr eine*n Freund*in, Partner*in, Gruppe oder Familie, mit der ihr das Ganze gemeinsam angehen wollt? Habt ihr Lust, Zeit miteinander zu verbringen und könnt ihr euch vorstellen, auch unterschiedliche Meinungen auszuhalten? Seid ihr euch einig, wie eine gemeinsame Nutzung des Gartens aussehen würde? Demokratisch, monarchisch, abwechselnd, chaotisch? Könnt ihr euch auf Grundlagen einigen, wenn es ums Gärtnern geht? Zum Beispiel ordentlich vs. natürlich, rechteckig vs. geschwungen, effizient vs. ökologisch, Blumen vs. Gemüse?

Das Gartenpotential. Welches Potential hat dieses konkrete Grundstück, dass ihr vielleicht pachten, mieten oder kaufen könnt? Gibt es hier Platz für das, was euch vorschwebt? Könnt ihr euch vorstellen, was hier geht, lässt sich dazu eine Vision entwickeln, die zu euren Wünschen an einen Garten passt? Gibt es genug Sonne für Gemüse oder genug Schatten für die Hängematte? Fühlt es sich gut und richtig an, auf diesem Stück Erde zu stehen?

Die Lage. Wo liegt das Grundstück? Wie lange braucht ihr dahin und mit welchem Verkehrsmittel ist das möglich? Passt das zu euren Mobilitätsgewohnheiten? Wer eh viel radelt, den schrecken 30 Minuten Radweg vielleicht nicht, wer lieber zum Tante-Emma-Laden um die Ecke spaziert, als zum entfernteren Supermarkt, für den kommt vielleicht nur etwas Fußläufiges infrage.

Die Infrastruktur. Gibt es Wasser und/oder Strom? Braucht ihr das? Ohne Strom, das geht. Ohne Wasser wird es, trotz aller Öko-Garten-Tricks, schnell schwierig. Wie nah kommt ihr an das Grundstück mit dem Auto heran, falls mal etwas Größeres an- oder abtransportiert werden soll? Gibt es Toiletten in der Nähe?

Das Selbstbild. Der Kleingarten hat ganz unterschiedliche Konnotationen. Für manche ein Ausdruck von Freiheit und Selbstbestimmung. Für andere der Inbegriff von Spießigkeit. Wie geht es euch? Wie den anderen in der Gruppe? Passt Kleingarten zu euch, könnt ihr eure Identität mit einem Garten verbinden? Oder würdet ihr gern und müsst euch da noch von etwas freimachen?

Die Kosten. Welche Kosten und Investitionen kommen auf euch zu? Also welche könnt ihr jetzt schon abschätzen? Dazu gehören Miete/Pacht oder Kaufpreis, Nebenkosten wie Wasser, Kosten für Altlasten, für Baumaterial, Werkzeug, Pflanzen. Und es wird wahrscheinlich etwas mehr, als gedacht. Aber auch Arbeitsinvestitionen gehören dazu, z.B. im Rahmen von Baueinsätzen im Kleingartenverein. Oder Baumschnitt-Kosten, wenn ein alter Baum auch eurem Grundstück zu fallen droht. Könnt und wollt ihr das stemmen?

Altlasten. Gibt es Altlasten auf dem Gelände, mit denen ihr euch befassen müsst? Also Müll oder abrissbereite Hütten, bruchgefährdete Bäume, invasive Pflanzen? Wieviel Zeit und Geld wird das kosten? Könnt und wollt ihr das investieren? Und lässt sich das Gelände dennoch sofort nutzen? Oder erst, wenn bestimmte Altlasten entsorgt sind?

Die Nachbarschaft. Nicht unerheblich. Könnt ihr abschätzen oder in Erfahrung bringen, wer die Grundstücke neben euch hat? Wie gut das zusammenpassen könnte? Welche Stimmung in der Anlage herrscht, ob Kinder, Hunde, Grillduft oder Gitarrenmusik willkommen sind?

Regeln und Gesetze. Mindestens ein Drittel Gemüse, der Rasen muss gemäht werden, es darf keine Hecke oder es muss Kartoffeln geben? Findet heraus, welche Regeln in der Anlage gelten, wie sie umgesetzt werden und ob das zu euren Vorstellungen passt.

Vereinskram. Viele Kleingärten werden durch Kleingartenvereine verpachtet. Die Mitgliedschaft im Verein, Teilnahme an den Mitgliederversammlungen, mal ein Sommerfest oder ein Arbeitseinsatz gehören dann zum Garten dazu. Passt das für euch? 

Kinder. Habt ihr Kinder? Oder andere in der Gartengruppe? Im Sandkastenalter ist ein Garten mit Platz für Buddelkasten, Matschküche und Schaukel natürlich der absolute Hit. Bei älteren Kindern kann es sein, dass sie sagen: Äh, Garten, langweilig. Habt ihr Platz für einen Kinder- oder Teenie-Bereich und könnt ihr auch aus vollem Herzen sagen: Wir machen das für uns, nicht für die Kinder?

Zeitfaktor. Wieviel Zeit könnt und wollt ihr auf dem Grundstück verbringen? Passt das zusammen, mit euren Vorstellungen vom schönen Garten bzw. mit den Absprachen in der Gruppe? Wieviel Zeitaufwand ein Garten bedeutet – das kann sehr unterschiedlich sein – und liegt auch in eurer Hand. Aber ganz ohne geht es nicht.

Andere Hobbys. Habt ihr andere zeitintensive Hobbys, Ehrenämter, Politgruppen oder Freizeitvergnügen, mit denen der Garten in Konkurrenz treten würde? Das war zumindest unsere Erfahrung: Mehr Garten heißt nicht unbedingt mehr Freizeit. Seid ihr bereit, andere Dinge zu reduzieren? Oder passt das Gruppentreffen in den Garten?

Risikoanalyse. Was riskiert ihr, wenn ihr „Ja“ sagt? Also was würde passieren, wenn ihr den Garten annehmt, aber nach einem Jahr oder zwei merkt: Das ist doch nichts für uns? Welche Verbindlichkeiten geht ihr ein und wie einfach oder schwierig könntet ihr euch daraus wieder lösen?

Was wäre wenn. Wie würdet ihr euch fühlen, wenn ihr diesen Garten bekommt? Wie würdet ihr euch fühlen, wenn ihn euch jetzt jemand vor der Nase wegschnappen würde? Gibt es da ein Bauchgefühl?

Die Entscheidung

Was ergibt das gründliche Nachdenken? Stimmt es mit dem Bauchgefühl überein? Sonst hilft nur noch der alte Trick Münze-Werfen…

Wir haben damals natürlich Ja gesagt – sonst gäbe es diesen Blog nicht. Und beim Blick auf die Fragen-Liste kann ich heute sagen: abgesehen von den Altlasten hatte das Grundstück viele viele Pluspunkte. Vor allem konnten wir ganz locker rangehen, es war klar: wenn wir es nicht schaffen, wenn es uns keinen Spaß macht, dann wachsen die Brombeeren halt weiter über den Müll. (Das dachten wir zumindest, faktisch konnte ich es kaum ertragen…). Inzwischen schält sich aus der überwucherten Müllhalde langsam ein Garten heraus. Und ja. Wir würden es wieder tun.

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