Alles im Garten ist Werden und Vergehen. Wachsen, Sterben, Zerfallen. Kompost ist Ende und Anfang. Und wir? Ist das, soll das, wie halten wir das aus?
Garten ist Veränderung. Und das ist gut. Saatgut geht auf, gepflanzte Sträucher wachsen oder verdorren. Große Bäume sterben ab und lassen wieder Licht zum Boden. Dort wächst etwas Neues, lässt sich plötzlich wieder etwas pflanzen. Ein Kreislauf von Leben und Sterben. Tröstlich, oder? Oder nicht?
Vor vier Wochen starb meine Oma. Und da war etwas von Dankbarkeit in uns. Weil sie schon so sehr unter ihrer Demenzerkrankung gelitten hatte, das Vergessen wahrnahm, aber nicht ertragen konnte. Wie gut, dass sie nicht länger leiden musste. Wie gut, dass einmal die Älteste in der Familie starb. Wie gut, dass sie nicht im Krieg, nicht durch Gewalt, nicht durch einen Unfall starb. Wie gut, dass wir bei ihr sein konnten, nicht isoliert in den letzten Tagen.
Und dann ist da doch die große Leere. Ich denke an Glatzen-Per. Sie ist immer da gewesen. Und nun ist sie nicht mehr da. Sie hatte lange noch nach unserem Leben gefragt, selbst als sie die Antworten nicht mehr behalten konnte. Sie hatte uns Geld angeboten, falls es mal irgendwo brennt. Hatte sich gefreut, wenn ich Cello spielte, die Kinder in der Schule zurechtkamen, wir im Sommer im Urlaub waren. Sie hatte uns abgeschirmt vor dem Tod, hat die eigene Sterblichkeit als etwas erscheinen lassen, was noch lange hin ist. Wer muss über das eigene Alter nachdenken, solange die Oma noch lebt?
Jetzt sitz ich im Garten. Und kann keinen Finger rühren. Vielleicht weiß ein Teil von mir, dass Leben und Sterben irgendwie Sinn machen. Aber ein Teil von mir versteht das nicht. Und die Schwere nimmt mir die Kraft, die Energie, den Antrieb. Warum aufstehen, warum jäten, sähen, pflanzen? Vielleicht vertrocknet die Saat. Vielleicht fällt der große Baum auf den Kleinen. Irgendwann sterbe ich selbst. Wen interessiert dann noch dieses Beet?
Wenn sie noch leben würde. Wenn sie nicht so krank geworden wäre. Dann könnte ich mit ihr hier sitzen. Sie würde es lieben. Das waldartige, weil der Wald ihr Garten war. Die wilden Himbeersträucher, weil sie ihr Leben lang Waldhimbeeren sammelte. Die versteckte Lage, ein Zauberland hinterm Zaun, wie aus einem Kinderbuch. Als wir den Garten bekamen, das war das erste Jahr, in dem sie uns nicht mehr besuchen konnte. Sie hat diesen Ort nie gesehen. Sieht sie ihn jetzt?
Schau doch Oma, wie schön es hier ist. Sei ein bisschen bei mir im Garten. Ist das möglich oder Einbildung, Hirngespinst oder Freiheit?
Alles kehrt zur Erde zurück. Manchmal ist das tröstlich. Meistens schmerzhaft. Gute Reise.